Eine Langzeitstudie unter Leitung der Persönlichkeitspsychologin Eva Asselmann (Asselmann et al., 2023) von der Health and Medical University in Potsdam zeigt, wie sich Menschen zu Führungspersönlichkeiten entwickeln und wodurch sie sich von anderen Berufstätigen unterscheiden, die diesen Weg nicht einschlagen.
Die Forscherinnen wollten herausfinden, wie sich Berufstätige an diese neue Rolle anpassen und welche Persönlichkeitsmerkmale sich bei zukünftigen Führungskräften verändern. Dafür analysierten sie Daten von fast 2’700 angehenden Führungskräften und rund 33’700 Berufstätigen ohne Führungsverantwortung, die im Rahmen des sozio-oekonomischen Panels (SOEP) in Deutschland erhoben wurden. Die Daten decken einen mehr als 30-jährigen Erhebungszeitraum von 1984 bis 2017 ab.
Allgemein legt die Forschung nahe, dass sich Beschäftigte mit Führungsaufgaben von Mitarbeitenden ohne Führungsaufgaben durch höhere Extraversion, Offenheit, emotionale Stabilität und Gewissenhaftigkeit unterscheiden, aber auch niedrigere Werte bei der Verträglichkeit zeigen können. Zudem tendieren Führungspersonen zu höherer Risikobereitschaft, stärkerem Glauben an die eigene Kontrolle und grösserem Vertrauen in andere. Diese Persönlichkeitsmerkmale hängen mit beruflichem Erfolg von Führungskräften zusammen und machen es wahrscheinlicher, überhaupt erst eine Führungsposition zu übernehmen.
Zugleich konnte beobachtet werden, dass sich verschiedene Persönlichkeitsmerkmale unter Ausübung von Führungsaufgaben häufig in eine bestimmte Richtung verändern. Der berufliche Aufstieg in eine Führungsposition bringt im Allgemeinen mehr Gestaltungsmöglichkeiten, Mitsprache und gesellschaftliches Ansehen, aber auch mehr Verantwortung und Stress mit sich. Unter diesem Einfluss steigt im Durchschnitt zum Beispiel die Gewissenhaftigkeit an und nimmt erst mit einer späteren Pensionierung wieder ab.
Es bestätigt sich insofern auch hier die psychologische Binsenwahrheit, wonach sich Selektions- und Sozialisationseffekte im Allgemeinen gegenseitig verstärken. Die Studie von Asselmann et al. (2023) fokussiert nun auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt die beobachtbaren Persönlichkeitsveränderungen stattfinden.
Tatsächlich zeigen die Ergebnisse der Studie, dass zukünftige Führungskräfte sich deutlich von anderen Mitarbeitenden unterscheiden, die keine Führungsposition übernehmen werden. Schon Jahre vor ihrem Aufstieg zeichnen sie sich durch ausgeprägtere Masse auf den erwähnten Persönlichkeitsmerkmalen aus. Die Forscherinnen können zugleich jedoch auch demonstrieren, wie sich die Persönlichkeit zukünftiger Führungspersonen bereits in den fünf Jahren vor ihrem beruflichen Aufstieg kontinuierlich weiterentwickelte: Die zukünftigen Führungspersonen wurden extravertierter, offener, risikofreudiger und fühlten sich zunehmend in der Lage, ihr Leben selbst zu steuern. Insofern scheint sich bereits die Antizipation einer künftigen Führungsrolle positiv auf die Entwicklung der Führungseigenschaften auszuwirken. Zudem zeigt sich, dass nach dem Eintritt in die Führungsposition die Ausprägung von Eigenschaften wie Extraversion und Risikobereitschaft allmählich wieder auf das Ausgangsniveau zurückkehrte (dieser Befund zeigt sich auch in anderen Untersuchungen, worüber bereits in einem früheren Blog-Beitrag zum Einfluss von beruflichem Erfolg auf unsere Persönlichkeit berichtet wurde), während die Offenheit und das Kontrollempfinden auf dem bereits erreichten höheren Niveau verblieben und das Selbstwertgefühl sogar weiter und mit langfristiger Wirkung zunahm.
Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse: Führungspersönlichkeiten entwickeln sich schrittweise in ihre Rolle hinein – oft lange bevor sie diese offiziell übernehmen. Nicht nur die Persönlichkeit als solche macht eine Person geeignet für die Übernahme von Führungsaufgaben, sondern zudem eben auch die Veränderung der Persönlichkeit in eine bestimmte Richtung. Eine gezielte Förderung dieser Prozesse sowie die langfristige Vorbereitung auf Führungsaufgaben kann für die Personalentwicklung oder für Menschen, die bewusst auf eine Führungsrolle hinarbeiten, von Vorteil sein.
Quellen:
Asselmann, E., Holst, E. & Specht, J. (2023): Longitudinal bidirectional associations between personality and becoming a leader. Journal of Personality, 91, p. 285-298.