Die Vorhersage von Berufs- oder Schulerfolg durch die Big Five Persönlichkeitsmerkmale kann als gut erforscht bezeichnet werden: Zahlreiche Studien weisen signifikante positive Effekte von Merkmalen wie Extraversion oder Gewissenhaftigkeit auf beruflichen Erfolg nach. Noch wenig untersucht ist hingegen die Frage, wie sich umgekehrt beruflicher Erfolg auf unsere Persönlichkeit auswirkt. Hier schliesst eine aktuelle Studie der Universität Bern (Hirschi et al., 2021) eine Lücke.
In der Langzeitstudie wurden insgesamt 4’767 erwerbstätige Erwachsene verschiedener Altersstufen zu wiederholten Zeitpunkten zu ihrer Persönlichkeit befragt und zugleich im Hinblick auf ihren Berufserfolg nach objektiven Kriterien eingestuft. Objektiver Berufserfolg wurde dabei anhand des Erwerbseinkommens und des Prestiges der beruflichen Tätigkeit mittels «Index für den Prestige-Rang von Berufen – SIOPS» operationalisiert. Gemäss dem neosozioanalytischen Modell der Persönlichkeit wurde bisher davon ausgegangen, dass Faktoren, welche beruflichen Erfolg fördern, auch wiederum durch beruflichen Erfolg verstärkt werden. Demnach treiben uns unsere Persönlichkeitseigenschaften dazu, bestimmte Umwelten und Erfahrungswelten auf- und auszusuchen, die uns entgegenkommen, wobei diese Umwelten dann rückwirkend auch wieder unsere Eigenschaften bestärken.
Die Studienergebnisse zeigen nun aber auf, dass dem nicht per se so ist: Während Personen, die beruflich erfolgreicher wurden, in ihrer emotionalen Stabilität und Offenheit gegenüber Neuem erwartungsgemäss eine Zunahme zeigten, nahm die Extraversion im Widerspruch zur neosozioanalytischen Theorie gar ab: Zunehmendes berufliches Prestige führte zu einer Verringerung der Extraversion. Auf die Merkmale der Verträglichkeit und der Gewissenhaftigkeit scheint wachsender beruflicher Erfolg hingegen keinen Effekt zu haben. Diese Befunde konnten sowohl für Frauen wie auch für Männer aufgezeigt werden.
Erklärt werden kann der überraschende Effekt in Bezug auf die Abnahme auf der Skala der Extraversion damit, dass ein erhöhtes berufliches Prestige die eigene gesellschaftliche Position zunehmend vom Status und weniger von einzelnen Beziehungen abhängig werden lässt. Erfolgreiche Menschen werden demnach weniger abhängig von der Unterstützung und dem Goodwill ihrer Mitmenschen und ihr Bedürfnis nach Geselligkeit nimmt ab einem gewissen Level an Prestige insgesamt ab.
Zu beachten ist, dass es sich individuell nur um geringfügige Veränderungen der Persönlichkeit handelt. Veränderungen im Einkommen und Prestige werden von vielen Faktoren beeinflusst und so ist es auch mit Veränderungen der Persönlichkeit. Die Ergebnisse sind demnach nicht so zu verstehen, dass bei beruflichem Erfolg eine extravertierte Person zu einer völlig introvertierten Person wird oder umgekehrt. Aber da die Persönlichkeit fundamental ganz viele Lebensbereiche zu beeinflussen vermag, können auch bereits geringe Veränderungen zu zahlreichen kleinen täglichen Entscheidungen führen, die in der Summe zu einer grösseren Änderung führen.
Quellen:
Hirschi, A., Johnston, C. S., De Fruyt, F., Ghetta, A., & Orth, U. (2021). Does success change people? Examining objective career success as a precursor for personality development. Journal of Vocational Behavior, 127, 103582.