23. Mai 2025

Das Eigenleben unserer Persönlichkeitsmerkmale

Bereits in einem früheren Beitrag haben wir uns mit der weit verbreiteten, aber irrigen Vorstellung beschäftigt, wonach sich unsere Persönlichkeit im Erwachsenenalter kaum mehr verändert. Dabei ging es vor allem darum, dass wir Mühe mit der Vorstellung bekunden, uns nicht nur in der Vergangenheit verändert zu haben, sondern dies auch künftig weiter zu tun. In einer Folge widmet sich nun der Psychologie-Podcast «Die Lösung» dem Thema.

Verhaltenstherapeutin Dr. Maren Wiechers beschreibt darin, wie zwar Veränderungen typischerweise mit zunehmendem Alter weniger werden, aber wir zugleich nie aufhören, uns zu entwickeln. Ungefähr jede/r Fünfte erfährt sogar auch nach dem 60. Lebensjahr wesentliche Veränderungen in der Persönlichkeit. Während 30-60% unserer Persönlichkeit genetisch veranlagt seien, könne es auch später im Leben immer wieder zu Genom-Umwelt-Interaktionen kommen, die unsere Persönlichkeit prägen und deren Entwicklung in eine bestimmte Richtung anstossen können.

Häufig stehen daher solche Veränderungen in Zusammenhang mit prägenden Lebensereignissen: Der Verlust eines Partners, die Geburt von Enkelkindern, die Pensionierung, eine lang ersehnte Reise oder auch eine neue Beziehung können Auslöser sein. Specht et al. (2011) berichten aufgrund ihrer Langzeitstudie gar davon, dass in einzelnen Fällen die Persönlichkeitsveränderungen nach dem 30. Altersjahr gar noch stärker ausfallen als in den 30 Lebensjahren davor.

In Bezug auf die Big Five Merkmale werden Menschen gemäss Wiechers unter Bezugnahme auf aktuelle Forschungsergebnisse im Laufe des Lebens im Durchschnitt sowohl gewissenhafter als auch verträglicher. Menschen werden demnach über die Lebensspanne nachsichtiger und streiten sich weniger. Die Merkmale Offenheit und Extravertiertheit hingegen sollen sich mehr in Form des umgekehrten Buchstabens «U» entwickeln: Während den ersten paar Jahrzehnten steigt die Ausprägung auf diesen Merkmalen an, erlebt höchste Werte im Alter zwischen 40 und 50 Jahren, um danach wieder allmählich zurückzugehen. Wieder anderes sieht es beim Merkmal des Neurotizismus aus: Erst mal scheint sich dieses Merkmal insgesamt über die Lebensspanne relativ stabil zu halten, ist aber in ganz besonderem Mass von kritischen Lebensereignissen abhängig – von positiven wie auch von negativen.

Die mit dem Lebensalter zunehmende Verträglichkeit kontrastiert das Bild des «alten Griesgrams», wie im Podcast hervorgehoben wird. Möglicherweise ist dieses Bild in der heutigen Zeit obsolet. Nimmt man die differenzierten Studienergebnisse aus der Studie von Specht et al. (2011) zur Hand, so fällt allerdings auf, dass sich nicht nur die Merkmale selber verändern, sondern auch ihre Stabilität über die Lebensdauer bedeutsam zu- oder abnimmt. So scheint die Stabilität des Merkmals der Verträglichkeit im höheren Alter stark zurückzugehen, woraus sich auch eine grössere Variabilität im Verhalten ergibt. Augenfällig ist Angehörigen und Beobachtern in diesem Fall aber vielleicht vor allem der griesgrämige Teil des Verhalten von älteren Mitmenschen.

Abweichende Befunde aus verschiedenen Studien sind hierbei natürlich auch Ausdruck für die Komplexität der menschlichen Persönlichkeitsentwicklung unter dem Einfluss bedeutender Lebensereignisse: So können bestimmte Persönlichkeitsmerkmale selektiv die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, bestimmte Lebensereignisse zu erleben. Beispielsweise könnten gewissenhafte Personen eher stabile Beschäftigungsverhältnisse eingehen. Sozialisierungseffekte dürften umgekehrt dazu führen, dass erlebte Lebensereignisse Veränderungen in der Persönlichkeit befördern. So könnte etwa der Verlust eines Arbeitsplatzes zu einem Rückgang der emotionalen Stabilität führen.

Überraschenderweise sind es weniger die einschneidenden familiären Ereignisse – wie etwa die Geburt eines Kindes -, welche nachhaltige Wirkung auf unsere Persönlichkeit ausüben. Häufiger seien es Veränderungen im Job und in der Arbeit, die sich stärker auf die Persönlichkeit auswirken. Obzwar sich das Leben durch die Übernahme von Elternaufgaben grundlegend stark verändert, wirkt sich das offenbar geringfügiger auf unsere Persönlichkeit aus als die täglichen Anforderungen und Rückmeldungen aus Beruf und Arbeit: «Augen auf bei der Berufswahl», vermerkt Maren Wiechers dazu mit augenzwinkerndem Ton.

Quellen:

Podcast “Die Lösung – Der Psychologie-Podcast”, Episode 2025-02-22 : Persönlichkeit | Wie wir uns im Laufe des Lebens verändern.

Specht, J., Egloff, E. & Schumkle, S. C. (2011). Stability and Change of Personality Across the Life Course: The Impact of Age and Major Life Events on Mean-Level and Rank-Order Stability of the Big Five. Journal of Personality and Social Psychology, 101(4), 862-882.

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