25. März 2021

Nicht das Ende der Geschichte

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William James, der gemeinhin als Begründer der amerikanischen wissenschaftlichen Psychologie gilt, legte 1890 in seinen „Principles of Psychology“ dar, dass sich unsere Persönlichkeit nur bis ins junge Erwachsenenalter verändere. Im Alter von spätestens 30 Jahren verfestige sich unser Charakter und sei danach in den meisten Fällen für den Rest unseres Lebens „wie in Gips geformt“. Die Veränderlichkeit der Persönlichkeit im Erwachsenenalter ist seither wiederholt in den Fokus kontrovers diskutierter Studien gerückt (vgl. Costa & McCrea, 1994). Selbstverständlich spielt die Frage, wie Persönlichkeit überhaupt definiert wird, in dieser Diskussion eine entscheidende Rolle. Erlernte Verhaltensmuster und Fertigkeiten erweisen sich beispielsweise über Dekaden als äusserst robust. Bei Motiven, Werten, Vorlieben und Eigenschaften zeigt sich hingegen eine relative Wandlungsfähigkeit.

So lassen Metastudien (Caspi et al., 2005) erkennen, dass die Big Five Persönlichkeitsmerkmale auch nach dem 30. Lebensjahr signifikante Veränderungen erfahren. Die Einflüsse unserer Umwelt und Umgebung hinterlassen ständig Spuren, die tief in unsere Persönlichkeit vordringen, auch wenn uns das zumeist nicht zu komplett anderen Menschen macht. Immerhin aber schwächt sich das Ausmass der Veränderung mit zunehmendem Alter in der Regel ab: Wir werden sozusagen eben doch etwas stabiler in unserer Persönlichkeit. Doch unabhängig vom Alter glauben die meisten, bei ihnen sei die Entwicklung nahezu beendet und sie würden sich höchstens in Nuancen noch weiter verändern – zu Unrecht, wie die Forschung von Jordi Quoidbach und Daniel Gilbert mit Tausenden von Teilnehmenden belegt. Und im Gegensatz dazu, dass wir das selber im Rückblick Jahre später häufig anders sehen. Wobei wir dann trotzdem erneut zur Überzeugung neigen, nun aber doch am „Ende der Geschichte“ angelangt zu sein.

Das Team verglich dabei zum Beispiel die Zukunftsvorstellungen von jüngeren mit den Veränderungen in den vergangenen zehn Jahren von heute um zehn Jahre älteren Probanden. Zudem werteten die Forscher Daten von Teilnehmenden aus, die über ihr vergangenes Leben und ihre Zukunftsvorstellungen befragt wurden und glichen die Entwicklung unter Einbezug von Persönlichkeitstests und der Veränderung der Big Five Merkmale ab. Während sich bei den älteren Generationen die Veränderungen wie erwartet abschwächten, blieb der Glaube, sich entgegen der Entwicklung in der Vergangenheit ab dem aktuellen Zeitpunkt künftig kaum mehr zu verändern, bei allen Altersgruppen vergleichbar stark. Damit wird deutlich, wie wir unabhängig vom Alter eher schwach darin sind, unsere eigene Entwicklung für die Zukunft überhaupt als Möglichkeit einzuplanen.

In ihren Experimenten zeigen die Forscher auch auf, wie die „Ende-der-Geschichte-Illusion“ immer wieder zu fehlerhaften und einseitigen Entscheidungen führen kann. Wir müssen heute viele Entscheidung treffen, die später unser künftiges Ich zu tragen hat. Ein Ich, welches wir heute noch nicht kennen und dessen Entwicklung sich schwer vorhersagen lässt. Als Jugendliche oder junge Erwachsene fällt es uns nicht leicht, das Wandlungspotenzial als Erwachsene zu erkennen. Trotzdem treffen wir Entscheidungen, die für unser ganzes Arbeits- und Privatleben von grosser Bedeutung bleiben. Wir planen berufliche Karrieren, Familie und Partnerschaft, treffen weitreichende Vorkehrungen für eine Zeit, die möglicherweise für Jahrzehnte in der Zukunft liegt. Und meistens gehen wir von der zumindest teilweise irrigen Annahme aus, dass wir so bleiben, wie wir sind. Wahrlich keine triviale Ausgangslage.

Die Forschung zeigt aber auch auf, dass durch kontinuierliche Zielsetzung, Ausdauer und das Aufrechterhalten von entsprechenden Bestrebungen internale Veränderungen in eine bestimmte Richtung angestrebt und auch erreicht werden können. Es ist also also unter günstigen Voraussetzungen durchaus möglich, sich selbst in eine gewollte Richtung zu verändern. Ein Anfang kann dabei die Herausbildung einer möglichsten konkreten Vorstellung des künftigen Ichs mit seinen Eigenschaften und Verhaltensweisen machen. Wer dem Leben und dem eigenen Dasein eine tiefere Bedeutung zumisst, dem gelingt eine internale Veränderung mit grösserer Wahrscheinlichkeit. Andererseits sind Menschen, die ausgeprägt effektiv, geplant, entschieden und überlegt vorgehen, in ihrer Persönlichkeit über längere Zeit eher auch stabil.

Caspi, A., Roberts, W. R. & Shiner, R. (2005). Personality development: Stability and Change. Annual Review of Psychology, 56, 453-484.

Costa, P. & McCrae, R.R. (1994). Set like plaster? Evidence for the stability of adult personality. 21-40. 10.1037/10143-002.

James, W. (1981). The Principles of Psychology (Vol. 1). Cambridge, MA : Harvard University Press. (Original publiziert 1890).

Quoidbach, J., Gilbert, D. & Wilson, T. D. (2013). The End of History Illusion. Science (New York, N.Y.). 339. 96-8. 10.1126/science.1229294.

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