23. September 2020

Im falschen Job?

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„70% der arbeitnehmenden Bevölkerung schöpfen ihr Potential nicht aus und bremsen damit das ökonomische Wachstum. 52% fühlen sich ihren Jobs gegenüber nicht oder nur marginal verbunden“. Im Jahr 2013 frappierte uns das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Gallup mit diesen alarmierenden Zahlen aus den USA. Schnell entbrannte darüber eine Debatte, die Befunde blieben nicht unwidersprochen. Andere Studien kommen zu stark abweichenden Ergebnissen. Die allgemein ausgeprägte und verbreitete Kundenfreundlichkeit und Servicequalität legen nahe, dass die Zahlen zumindest hierzulande kaum in diesem Ausmass zutreffen können. Unabhängig von der Diskussion über Prozentsätze baute Jamie Schneiderman das Geschäftsmodell seines Unternehmens Career Spark im Bereich HR Analytics auf seiner Überzeugung auf, dass sich ein Grossteil der Arbeitnehmenden im falschen Job findet.

Wie hoch der Prozentsatz an Fehlplatzierungen tatsächlich liegt, ob sich solche Ergebnisse generalisieren lassen und welche methodischen Mängel sowie definitorischen Annahmen hinter den Befunden stehen, darüber lässt sich trefflich streiten. Schneiderman sieht hinter dieser Diskussion auf jeden Fall ein riesiges, beinahe epidemisches Problem: Es gibt unzweifelhaft einen hohen Anteil von Arbeitnehmenden, die sich nicht entfalten können, ihr Potential nicht annähernd ausschöpfen, sich im Job unwohl fühlen oder darin gar unglücklich werden. Die Folgen, sowohl individuell als auch ökonomisch, müssten gemäss Schneiderman als grösstes Problem im Bereich der Wirtschaft erkannt werden. Erstaunlicherweise wird wenig dagegen unternommen. Das Problem scheint weitgehend akzeptiert zu sein oder stillgeschwiegen zu werden.

Eine massgebliche Ursache für solche Fehlentwicklungen sieht Schneiderman in unserer Orientierung an der Vergangenheit: Wir selber legen uns stark auf das fest, was wir bisher gelernt und gemacht haben. Auch unser Umfeld legt uns auf Lebensläufe, Berufserfahrungen und Ausbildungen fest. Eine Job-Bewerbung hat dann die besten Chancen, wenn wir aufzeigen können, dass wir den neuen Job in ähnlicher Form auch schon bisher gemeistert haben. Inhalte aus Lebensläufen, Berufserfahrungen und Ausbildungen liegen jedoch allesamt bereits hinter uns: Was wir bisher gemacht und erreicht haben, stellt nach Schneidermann lediglich eine Funktion aus dem früheren Kontext dar. Entscheidender wäre hingegen die Frage, wohin unsere Entwicklung gehe und wer wir wirklich seien. Schneiderman würde ein holistischeres Bild der Person begrüssen, bei dem vor allem die Kapazitäten berücksichtigt würden. Dafür müsste ein Unternehmen besser verstehen, was seine Angestellten antreibt und was sie in den verschiedenen Rollen erfolgreich macht. Im Wesentlichen geht es um den Kern der Persönlichkeit, das Potential und die Interessen. Diese seien als Prädiktoren für beruflichen Erfolg relevanter seien als Faktoren wie Jobtitel, Jobherkunft oder Abschlusszeugnisse.

Das ist freilich der Punkt, wo die Psychodiagnostik ins Spiel kommt und eine wesentliche Rolle einnehmen kann. Bemerkenswerterweise betont Schneiderman die Rolle des menschlichen Beraters im Prozess der Entscheidungsfindung: So sollte das HR die individuellen Entscheidungen mittragen und mithelfen, diese herauszuarbeiten. Obwohl Schneiderman sein Unternehmen als datengetriebenes Business aufgebaut hat, betrachtet er Technologie und Daten nur als Hilfsmittel, um die menschliche Entscheidungsfindung zu unterstützen. Am Ende des Tages brauche es immer Menschen, die Entscheidungen treffen und umsetzen.

Quellen:

Podcast “HR Works; The Podcast for Human Resources”, Episode 79: We Might Just All Be in the Wrong Jobs.

 

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