2. August 2020

Sind die Grossen Fünf einsam?

Print Friendly, PDF & Email

Die Kurzantwortet lautet: Mit einer Ausnahme ganz und gar nicht.

Ein gewisses Bedürfnis nach sozialen Bindungen ist allen Menschen gemein. Aber das Ausmass dieses Bedürfnisses kann von Individuum zu Individuum stark variieren. Ebenso reagieren Menschen unterschiedlich stark auf den Verlust sozialer Kontakte. Diese Unterschiede zeigten sich auch gerade wieder in der coronakrisenbedingten Lockdown-Phase in aller Deutlichkeit: Während die einen den sozialen Rückzug zeitweise geradezu genossen zu haben scheinen, zeigten andere in der sozialen Isolation rasch Stresssymptome und litten zunehmend unter Einsamkeit. Doch welche Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit und Einsamkeit lassen sich genau beobachten? In einer gross angelegten Metastudie, die 113 Einzelstudien berücksichtigt, untersuchen Buecker et al. (2020) das Verhältnis zwischen Einsamkeit und den Big Five Persönlichkeitsmerkmalen.

Einsamkeit kann als subjektive Wahrnehmung einer Diskrepanz zwischen erwünschten und realen sozialen Kontakten beschrieben werden. In der psychologischen Literatur wird zwischen unidimensionalen und multidimensionalen Konzeptionen unterschieden. Letztere differenzieren verschiedene Formen von Einsamkeit, grenzen beispielsweise eine emotionale von einer sozialen Dimension der Einsamkeit ab. Sie machen damit auch auf Unterschiede zwischen nahen und intimen Sozialkontakten einerseits sowie breiten und vielseitigen Kontakten andererseits aufmerksam. Verschiedentlich wurden auch trait-ähnliche Konzeptionen von Einsamkeit diskutiert und vorgeschlagen. Demnach haben Einsamkeitsgefühle eine Basis, welche dem Charakter eines weitgehend überdauernden Persönlichkeitsmerkmals nahe kommen. Stabile Zusammenhänge zwischen Einsamkeit und Persönlichkeitsmerkmalen würden diese Thesen unterstützen und könnten Ansätze zur verbesserten Diagnose und Risiko-Prävention unterstützen.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die vier Merkmale Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit allesamt signifikant negativ mit Einsamkeit zusammenhängen. Einzig das Merkmal Neurotizismus korreliert positiv mit Einsamkeit.

Extraversion: Extraversion geht mit einer intensivierten Partizipation an sozialen Aktivitäten einher und ist zugleich mit einem höheren Sozialstatus verbunden. Wie sich bestätigt, fallen bei extravertierten Persönlichkeiten die Empfindungen von Einsamkeit entsprechend geringer aus. Bei diesem Merkmal zeigt sich erwartungskonform der grösste (negative) Zusammenhang zu Einsamkeit (r=.-37).

Verträglichkeit: Verträglichkeit korreliert (r=.-24) ebenfalls negativ mit Einsamkeit. Die Erklärung liegt in den positiveren Beziehungen, die sich aus dem freundlichen und rücksichtsvollen Verhalten ergeben dürften, welches mit dem Merkmal der Verträglichkeit einher geht.

Gewissenhaftigkeit: Hier fällt der negative Zusammenhang (r=-.20) bereits etwas geringer aus, lässt sich aber immer noch gut erklären: Verantwortungsvolle und zuverlässige Mitmenschen unterhalten auch ihre sozialen Kontakte in der Familie und Freundschaft mit grosser Zuverlässigkeit und Stetigkeit aufrecht. Das fördert nicht nur direkt die Beständigkeit der sozialen Kontakte, sondern wird auch vom sozialen Umfeld geschätzt, was wiederum verstärkend auf gute Beziehungen wirkt.

Offenheit: Am geringsten fällt mit einer nur noch leicht negativen Korrelation (r=-0.11) die Beziehung zwischen dem Merkmal Offenheit und erlebter Einsamkeit aus. Das ist auf den ersten Blick eventuell überraschend, könnte doch angenommen werden, dass sich Offenheit klar und deutlich auch interpersonell auswirkt und in mehr sowie häufigeren sozialen Interaktionen münden müsste. Es darf aber nicht ausser acht gelassen werden, dass Offenheit als Big Five Dimension eher intrapsychisch als interpersonell konzipiert und intendiert ist. So gesehen trägt Offenheit nicht per se zu objektiv besseren Beziehungen bei, sondern beeinflusst allenfalls ihre Wahrnehmung.

Neurotizismus: Wiederum erwartungskonform ergeben sich stärkere Beziehungen zwischen dem Merkmal Neurotizismus und Einsamkeit. Allerdings zeigt sich bei diesem fünften Merkmal der Big Five auch erstmals ein positiver Zusammenhang (r=.36). Emotional instabilere Personen reagieren eher mit Reaktanz auf soziale Stressoren und gleichzeitig sensibler auf mögliche Zeichen sozialer Ablehnung. Soziale Kontakte und ihr Wert werden dadurch schneller in Frage gestellt als bei hoher emotionaler Stabilität. Daraus können in der Folge rascher auch Gefühle der Einsamkeit entstehen.

Die Frage der Kausalität ist mit dem Nachweis der Zusammenhänge aus der Metastudie und trotz den beschriebenen Hypothesen zu den Wirkmechanismen noch nicht geklärt. Die Erklärungsmuster mögen zwar ihre Gültigkeit haben, jedoch liegen auch interessante Studienbefunde vor, die eine umgekehrte Wirkrichtung nahelegen: So wurde in einer der in der Metastudie aufgenommenen Untersuchung (Mund & Neyer, 208) aufgezeigt, dass das Mass an erlebter Einsamkeit die Ausprägung aller Big Five Persönlichkeitsmerkmale ausser Offenheit fünf Jahre später ziemlich akkurat vorherzusagen vermag.

Quellen:

Buecker, S., Maes, M., Denissen, J. & Luhmann, M. (2020). Loneliness and the Big Five Personality Traits: A Metaanalysis. European Journal of Personality, 34, 8-28.

Mund, M., & Neyer, F. J. (2018). Loneliness effects on personality. International Journal of Behavioral Development, 43, 136– 146.

 

Schreibe eine Antwort